2019

DAS ANGENEHME MIT DEM NÜTZLICHEN

Da es die gesellschaftlichen Konventionen erfordern ein mal im Jahr eine Festivität für all Diejenigen auszurichten, die es das ganze Jahr mit mir ertragen haben und ich auch weiß wie gern ihr meine drei Tage vorher Einladungen habt, versuche ich mit dieser Einladung beiden Erwartungen gleichermaßen zu bedienen.

Nachdem der „Themenabend Käse“ im letzten Jahr scheinbar nicht so gut ankam und etlichen von euch erst Kopfzerbrechen und später Verdauungsprobleme beschert hat, /habe ich mich dieses Jahr gegen euch entschieden und meinen Geburtstag mit einer Horde Fremden gefeiert./ steht diesmal nicht unser leibliches Wohl im Vordergrund, sondern wir versuchen das Gefühl von frischem Ofenkäse in unseren Herzen auf andere Weise herzustellen. Die Überschrift lautet dieses Jahr also „Das Angenehme mit dem Nützlichen“ und ob ihr euch dabei eher als angenehm oder als nützlich definiert ist dabei ganz euch überlassen.

Am Samstag, 24.08.19 kommt ihr einfach, unmittelbar nachdem ihr euren, von der täglichen harten Arbeit und dem Alkohol gezeichneten, müden alten Körper aus dem Bett gequält habt, zu mir nach Hause. Wir wissen alle, dass das frühestens 12 Uhr sein wird, und da ohne Kaffee und einen tiefen Schluck aus der Flasche eh nichts geht, ist eh vor 14 Uhr mit niemandem von euch zu rechnen. 

Jetzt steht ihr hier, 15 Uhr, traurig, immer noch müde, dafür aber schon mit einem leichten glimmer, vor meiner Tür, klingelt und wundert euch warum niemand öffnet. So richtig wundern tut ihr euch dann aber auch nicht, denn es wäre nicht das erste mal, dass ihr die Uhrzeit, den Tag oder den Wohnort von Angehörigen und Freunden vergessen habt und zu völlig falschen Zeiten an fragwürdigen Orten traurig wartet. Ihr vergesst sowieso zunehmend Dinge, Geburtstage sind da nur die Spitze des Einsbergs.

Das Leben ist also doch nicht so spurlos an dir vorbeigegangen, wie es  der verwaschene „Forever Young“ Aufdruck auf deinem Schlafanzug suggeriert. Und jetzt wo du realisiert, dass ihr noch immer im Schlafanzug bist, nimmst du noch einen tiefen Schluck. Plötzlich denkst du an deine erste Liebe und wie ihr euch gemeinsam Flachmann- und Zigarettentaschen an eure Schlafanzüge genäht habt. Du denkst an deine Eltern, die dir immer gesagt haben du sollst den Schlafanzug auf links waschen, damit der „Forever Young“ Schriftzug niemals ausbleicht und du denkst darüber nach wie dein Leben wohl verlaufen wäre wenn du immer auf deine Eltern gehört hättest…

Es ist inzwischen 16 Uhr, im Haus ist es immer noch still und dunkel und diese Stille und Dunkelheit erinnert euch an euer Leben und ihr werdet noch trauriger. Ihr ward so sehr mit alt und verbittert aussehen beschäftigt, dass ihr erst jetzt die dumpfe Musik im Hintergrund wahrnehmt. 

Erst bist du dir nicht sicher, ob sie aus einer der Wohnungen kommt, hörte sie sich eben doch noch ganz weit weg  und leise an, hast du jetzt das Gefühl, dass sie ganz nah ist, als wäre sie in dir drinnen, du bist plötzlich überzeugt das du die Musik bist, du rufst lauthals „ICH BIN DIE MUSIK!“ … /und kommt erst wieder zu dir, als die Rettungskräfte über dich gebeugt sind und laut deinen Namen rufen. Später wirst du sagen du weißt nicht wie die Flasche Reinigungsbenzin in deine Hemdtasche gekommen ist, doch wir wissen beide, dass du seit du steil auf die dreißig zugehst kein Halten kennst und alles ballerst, was sich irgendwie nach Leben anfühlt./

Du schaust auf deine Uhr, kurz nach zwei, du bist Irritiert und als du das Treppenhaus verlässt stürzt du über  ein Skateboard in einen Flohmarktstand. Wie konntest du dieses Fest übersehen? Die Straße ist bunt geschmückt, junge attraktive Menschen mit Dreads und Kindern (und Kindern mit Dreads) basteln Traumfänger aus upgecyceltem Einwegbesteck, es gibt vegane Waffeln, eine Band namens S.E.N.F. spielt, es wird jongliert, gesungen, getanzt und gelacht… Jemand hat Trommeln mitgebracht und wer anderes hat eine Regentonne voll Kuskus zubereitet. Überwältigt von dem Überangebot an Spaß setzt du dich auf ein Palettenmöbel und checkst erstmal Feeds.

Es ist Siebzehnuhr und dein anfänglicher ‚krasser Respekt‘ für die krasse Party die Sebastian hier aus dem Ärmel geschüttelt hat, weicht einem leichten Misstrauen. Du hast einen Stand mit Bier vom Faß gefunden, vorher hast du  an einem Breakdance Workshop teilgenommen und etwas mit Sprühfarbe auf ein Jutebeutel gesprüht – du bist gleichermaßen begeistert wie angetrunken und erst gegen 18 Uhr wird dir klar, dass das nicht Sebastians Geburtstagsfeier ist. Skeptisch warst du eigentlich schon als Leute ein „Wir hassen Sebastian“-Transparent vom Balkon entrollt haben, ganz sicher warst du dir erst, als Sebastian vom Sicherheitskräften von der Bühne entfernt wurde als er die Republik ausrufen wollte.

Es geht auf 18 Uhr zu und du hast festgestellt, dass du im Gegensatz zu allen anderen Gästen nicht auf’s Dixie gehen musst sondern in Sebastians Wohnung darfst und da sogar dein Krempel unterstellen kannst. Das sind zwar überschaubare Privilegien, aber wenigstens war der Typ überhaupt mal für was zu gebrauchen, hat er bisher doch, genau wie der Staubsaugerroboter „Onno“, mehr Ärger als Freude bereitet. Auch deine letzte Sorge an diesem Tag hat sich zerstreut, denn einen Slampoetrykünstler hat zum Glück niemand eingeladen.  

Zehn Uhr. Du hast dir alle schlecht aber liebevoll abgemischteb Bands angeschaut (Han Shot Greedo, nonamepriorities, The Flying Hot Sauce, Kомвуиат яовотяои, S.E.N.F, Noorth, Nativø, Jack Dalton and the Cactus Boys), hast beim Gläserspülen geholfen und dir beim ausgelassenen Tanzen auf die Lippe gebissen. Es hat zwar schnell aufgehört zu bluten und tat auch nur ein bisschen weh, aber du hast die Gelegenheit genutzt und trotzdem ein bisschen geweint, denn dir wird so langsam klar, dass nicht jeder Tag so wundervoll wie dieser sein kann.

Elf. Du sitzt am Lagerfeuer und erzählst Geschichten von Früher, alle hängen an deinen Lippen, die Leute hier sind jünger, aber du lässt dich von ihrer Jugend nicht einschüchtern, deine Lebenserfahrung ist dein Kapital und mit einem Selbstbewusstsein als hättest du den Ratgeber „Mit Menschen Reden“ der seit Monaten auf deinem Nachttisch liegt, gelesen, lässt du sie an der ‚romantischen Blumenmeerfahrt‘, die dein bisheriges Leben war, teilhaben. 

Zwölf. Du merkst nicht, dass sich die meisten von dir weggesetzt haben. Du redest wirr und unverständlich in deinen Bart hinein. Du bist von oben bis unten mit Kuskus vollgekrümelt. Du hast Augenringe, dein Schlafanzug ist fleckig, du fühlst dich Müde, aber magst es nicht zugeben. Du bist bereit noch einmal alles zu geben, als jemand mit Gitarre ans Lagerfeuer kommt und „Forever Young“ anstimmt… mit letzter Energie kannst du den Barden überwältigen. Du entreißt die Gitarre seinen kalten toten Fingern und ziehst dich in den Fahrradkeller zurück. 

Doch im Fahrradkeller findet aus irgendeinem Grund ein Rave statt. 
Stampfende nachkte Leiber, laute und viel zu schnelle elektronische Tanzmusik.
Du versuchst mitzuhalten, schwitzend, geblendet von Laser und Stroboskoplicht.
Du mit Gitarre, in deinem Forever Young Schlafanzug auf einem Rave in einem Fahrradkeller. 
Du bist froh als die Polizei das durcheinander beendet 
und rufst dir ein Taxi.
Du bist dir nicht sicher ob am Horizont die Sonne aufgeht oder ein Wald im Polarkreis brennt. Zu Hause angekommen schaust du in den Spiegel und siehst irgendwie jünger aus.
Zum Glück hast du deinen Schlafanzug schon an.
Gute Nacht.